Glück mit Gluck – Alceste in der Jahrhunderthalle
Im Rahmen der Ruhrtriennale wurde die Reformoper Alceste von Christoph Willibald Gluck nach dem Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi aufgeführt.
von Susanne Böhling
Ein langgehegter Wunsch geht in Erfüllung: Eine Opernaufführung in der Jahrhunderthalle
Wie das immer so ist: Eigentlich war die Oper ein Zufallstreffer. Ausschlaggebend für die Wahl war der Aufführungsort. Die Jahrhunderthalle in Bochum. Seit ich vor vielen Jahren in der Zeitung gelesen hatte, dass dort, in der ursprünglich industriellen Zwecken dienenden Halle, eine Oper aufgeführt wurde, geisterte die Idee durch meinen Kopf. Nach dem Besuch einer Aufführung der Ruhrfestspiele Recklinghausen in diesem Jahr und im Rahmen der Kultur-an-der-Ruhr-Aktivitäten mit Norbert Büchel erregte eine Vorankündigung von Alceste von Christoph Willibald Gluck und nach dem Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi meine Aufmerksamkeit.
Witzige Toilettenanlage
Die Jahrhunderthalle ist in der Tat ein imposantes Gebäude und es ist ein Glück, dass sie nicht abgerissen wurde, nachdem dort keine Gebläsemaschinen für die Hochöfen des Bochumer Vereins mehr laufen. Zwar lenkt der moderne Vorbau etwas von dem Ursprungskubus des Gebäudes ab, aber dafür erinnert die Toilettenanlage auf dem Vorplatz mit einem Augenzwinkern an die Ursprünge aus Stahl.
Der Bühnenraum in der Jahrhunderthalle
Die Halle wurde im Jahr 1902 als Stahlkonstruktion nach ingenieurstechnischen Überlegungen entworfen und gebaut. Sie bedeckt die enorme Fläche von 8900 Quadratmetern. Das Hauptschiff, in dem die Oper aufgeführt wurde, ist 21 Meter hoch, 20 Meter breit, die Länge von 66 Metern wurde für die Aufführung nicht komplett genutzt.
Verzicht auf die Zentralperspektive
Regisseur Johan Simons und Bühnenbildner Leo de Nijs verzichteten auf eine Zentralperspektive. Sie ließen die Zuschauer von einer langen und einer kurzen Tribünenseite auf die Inszenierung schauen und hatten auch entsprechende Anlagen für die Übertitelung anbringen lassen. (Auch dafür sind die alten Stahlträger nutzbar.)
Eine spiegelnde Folie sorgt für imposante Bilder
Sie verzichteten auch auf naturalistisches Kulissen-Blendwerk. Den Boden bedeckte eine dunkle Folie, die das Licht aus den Kathedralen-artigen Fenstern spiegelten. So entstanden großartige Bilder. Monoblock-Gartenstühle erfüllten alle weiteren Anforderungen an Bühnendeko: Sitzgelegenheit oder Anlass für Aktionen, die die Emotionen der Figuren verdeutlichten.
Die Reformoper auf dem Spielplan der Ruhrtriennale
Das Stück Alceste auf den Spielplan der Ruhrtriennale zu nehmen, war eine wunderbare Idee. Christoph Willibald Gluck ist der bedeutendste Reformer der Oper, die Ende des Barockzeitalters in Eitelkeit erstarrt war. Sie war nur noch ein Rahmen, in dem die Sänger mit ihren Koloraturen brillieren konnten. Gluck stellt die Musik wieder in den Dienst des Dramas, des Bühnengeschehens. Und nach Auskunft der Dramaturgen Jan Vandenhouwe und Jeroen Versteele (in der Einführung) in der hier gegebenen, aber selten gespielten italienischen Urfassung auf besonders radikale Weise.
Hochkarätige Umsetzung
Umgesetzt wurde das Stück hier auf besonders hochkarätige Weise. Schon nach den ersten Takten des B’Rock Orchestras unter der Leitung von René Jacobs und dem Chor MusicAeterna aus Perm, der von Vitaly Polonsky einstudiert war, überkam mich eine Gänsehaut in Anbetracht der klanglichen Qualitäten. Erstaunlich auch, weil die Stimmen mit Hilfe von Mirko-Ports abgenommen und im Saal verteilt wurde. Das stellt besondere Anforderungen an die Tontechnik, für die Gunnar Brandt-Sigurdsson verantwortlich zeichnete.
Die Musik von Gluck lässt Emotionen miterleben
Erstaunlich ist auch, in welche psychologischen Tiefen Glucks Musik die Gefühle der Personen verfolgt – zu einer Zeit, in der es noch keine Psycho-Analyse gab. Vielleicht aber auch eine Bestätigung, dass Musik die Kunst ist, die Gefühle besonders unmittelbar ausdrücken kann, ohne dass Bewusstsein oder Vernunft dazwischen funken.
Trauer über die ganze Zeit der Aufführung
Ein weiteres Glück dieser Aufführung: Das Stück ist todtraurig: Eine Frau opfert ihr Leben für das ihres todkranken Mannes. Über annähernd die gesamte Dauer der Aufführung geht es um Trauer, um Wut, um die ganzen, damit verbundenen, herzzerreißenden Konflikte der Personen – die die Musik ebenso traurig vermittelt.
Glück im Bewusstsein der Einmaligkeit des Augenblicks
Trotzdem war ich danach weder traurig noch niedergedrückt. Sondern vielmehr froh (Genau wie die Gesichter der übrigen Besucher der Vorführung). Froh, dass jemand solch schlimmen Gefühlen überhaupt einen Ausdruck verleihen kann und dann auch noch einen so Schönen! Froh, eine so hochkarätige Aufführung geboten zu bekommen und ihr auch noch beiwohnen zu können! Ganze sieben Mal wird das Stück in Bochum gespielt, die Sänger haben es alle eigens für diese Aufführung einstudiert und hier ihr Rollendebüt gegeben. Oft werden sie von dem Können nicht Gebrauch machen können, normal wird die jüngere, französische Fassung gespielt. Es war also auch das Glück, einen ganz einmaligen Moment bewusst zu genießen!