Beim Aufräumen kam mir folgender Text aus dem Jahr 2005 wieder in die Finger – bitte augenzwinkernd Lesen
Eindeutig Dame
von Susanne Böhling
Selten, dass mich ein “Herr” begrüßt. Bei einem Empfang passiert es: Anstatt meine Hand mit der seinen zu umschließen, auf dass ich den Druck adäquat erwidern kann, greift er meine Fingerspitzen, und zieht sie in Richtung seines Mundes. Wobei er sich verbeugt. Ich bin irritiert. Gleichzeitig fühle ich mich eindeutig Dame, und das Adjektiv dazu lautet nach meiner Vorstellung “dämlich”.
Fürs Essen können wir aus drei Hauptspeisen wählen. Ich nehme das Roastbeef. Die Französin am Tisch, die gar kein Problem damit hat, Dame zu sein, schließt sich der Bestellung ihres Tischherrn an. Als sie dann den Rehrücken serviert bekommt, ein anderer Herr in der Runde vegetarische Zucchini-Spieße, ist sie sehr enttäuscht: Die hätte sie viel lieber gemocht.
Aber sie war zu sehr Dame, um die Brille herauszuholen, mit der sie die Menü-Karte hätte lesen können oder ihren jungen Tischherren zu bitten, sie ihr vorzulesen. Kann man ja von einer Dame auch nicht verlangen, dass sie sich als altersweitsichtig outet.
Weil aber der Herr ein echter Herr ist, der Damen sogar mit Handkuss begrüßt, tritt er ihr sein Essen ab. Ich korrigiere: Damen sind gewiss nicht “dämlich”. Ich glaube, ich will auch Dame werden.