Manchmal ist allein sein gar nicht das Schlimmste. Sonntag Morgen zum Beispiel. Da war ich mir schon kompliziert genug
Irgendwann, als ich beschloss aufzustehen, sah ich, dass von dem Schnee, der Samstag am späten Abend gefallen war, immer noch etwas zu sehen war! Das hat Seltenheitswert am Niederrhein! Also … irgendwas muss ich damit doch anfangen … vielleicht sollte ich mit dem Zug nach Kleve fahren, dort auf den weiten Flächen müsste seine bezaubernde Wirkung um ein Vielfaches höher sein als auf dem Dach, auf das ich von meinem Fenster aus schaue. Rapp zapp, „9:36 Uhr“ sagt die App, würde die nächste Bahn fahren.
Was jetzt? Ja, nein, vielleicht?
Ich begann mir Brot zu schmieren und Tee zu kochen für den Thermobecher und suchte die passende Kleidung aus, während Gedanken durch meinen Kopf schossen. Zweifel, wie „Ob sich das lohnt?“ oder „Ob ich dann noch rechtzeitig zur Kirche komme? Oder vielleicht zur Abendmesse gehen soll?“ wechselten sich ab mit Euphorie: „Wie gut, dass ich so nahe am Bahnhof wohne“, und „mit dem Zug bin ich jetzt viel lieber unterwegs als mit dem Auto, da stört der Schnee auf den Straßen weniger.“ Ich weiß nicht, wie oft ich meinen Entschluss änderte. Mag sein, dass die Frequenz in „Hz – Hertz – Schwingung pro Sekunde“ messbar gewesen wäre. Und gut, dass es nur 40 Minuten bis zur Abfahrt des Zuges waren. – Ich auf Wechselstromfrequenz? Mit der Energie könnte man ein Atomkraftwerk einsparen.
Das Hin und Her der Entscheidungen: Wechselstrom oder doch schon Drehstrom?
Wenn ich mir jetzt vorstelle, da wäre ein Kerl gewesen! Dass er sich mit mir auf dieser Frequenz hätte einschwingen können, das kann – und das will – ich lieber nicht erwarten. Stell dir vor, diese Sinuskurven laufen nicht synchron? Schrecklich!
Kurzzeitig (als ich nach meiner Rückkehr die Situation mit Bewusstsein durchleuchtete) konnte ich mir vorstellen, dass er mich auf den Schoß nimmt, mir übers Köpfchen streichelt um mich zu beruhigen. Aber dann hätte ich womöglich den Zug verpasst – und das hätte ich ihm nie verziehen, denn dass mit jeder Minute der Schnee schmolz und das Grau das Weiß aus der Landschaft verdrängen würde, war ja wohl klar.
Oder er will mitkommen. Dann hätte ich es womöglich nicht geschafft, genügend Butterbrote für zwei zu schmieren und für seinen Kaffee hätte mir der Thermobecher gefehlt. Oder er will mitkommen und ist nicht spontan genug. Vielleicht hätte er mich einfach in Ruhe machen lassen sollen und wäre bei seinem Plan für den Tag geblieben. Aber dann hätte ich womöglich eine dritte Alternative gehabt. Das wäre ja dann schon Drehstrom gewesen und bestimmt hätte es mir dann die Sicherung rausgehauen.
Nachmittags ohne Schnee, aber mit Begleitung
So sitze ich ganz entspannt an meinem Tisch, lese Zeitung und mache mir meine Gedanken. Und weil ich so früh zurück war von meiner Zugfahrt, kann ich sogar noch mit einer Freundin zu einer Wanderung aufbrechen. Es war nämlich wirklich so viel weniger Schnee als erwartet, dass ich die Fahrt schon in Nieukerk (ein Drittel des Weges nach Kleve) abgebrochen habe. Da brauchte ich nur zehn Minuten auf den Zug in Gegenrichtung zu warten, der mich wieder nach Hause gebracht hat. Konnte ich auch ganz allein entscheiden, keine Diskussion! In diesen zehn Minuten – aber auch schon auf den wenigen Metern zum Bahnhof – wurde mir klar, dass sich die frische Luft auf jeden Fall lohnt. Da waren meine Nase und meine Lungen sofort einer Meinung und von der sind sie nicht mehr abgewichen.
Ganz entspannt habe ich den Weg mit einer Freundin gemacht. Sie hatte von dem ewigen Hin- und Her am Morgen nichts mitbekommen