WArum ich mir selbst einen GEfallen tue, wenn ich dem neffen gratuliere
Vielleicht fehlen mir ja die großen Gefühle und die großen Begegnungen – in meinem Leben sind es oft die kleinen, scheinbar flüchtigen, die ihm die rechte Würze geben.
Gustaf, beispielsweise, habe ich bewusst nur einmal gesehen. Er ging damals noch nicht zur Schule. Auf der Trauerfeier für meinen Onkel, seinem Großvater. Dessen Frau und Töchter (meine Tante und die Cousinen) hatten sich nach dem Beerdigungskaffee im Dorfgemeinschaftshaus in der Stube eingefunden, öffneten die Beileidskarten und hielten eine Nachbesprechung: Wer … wie … wann … hast du nicht gesehen …
Daran konnte ich mich leider nicht beteiligen. Wer … wie … ich hatte dazu weder Gesichter noch Geschichten, denn das Dorf meiner Vorväter – und Onkels – ist nicht das meine. Nach Hause fahren ging auch nicht, es war zu weit, ich musste auf den nächsten Morgen warten, um aufzubrechen. Und so langweilte ich mich ein wenig. Gustaf langweilte sich nicht. Wobei auch er sich nicht an der Nachbesprechung beteiligte.
Die Basis: Gustaf und ich vertreiben uns gemeinsam die Langeweile
Er hatte kleine Autos dabei, die er mal an der einen und mal an der anderen Stelle auf dem Teppich parkte. Meist standen sie dicht an dicht. Dann bemerkte ich, dass er sie nicht hin und her fuhr – sondern trug. Jetzt rutschte ich zu ihm auf den Teppich und fragte ihn, warum er die Autos nicht fahren ließe. „So“, sagte ich und rangierte erst den LKW an einen anderen Platz, dann einen kleinen VW und dann auch noch den Trecker. Gustaf sah mich an. Mit großen Augen. Und diesem Zweifel im Blick, wenn Erwachsene etwas ungewöhnliches machen, und sie sich nicht sicher sind, ob sie ernst genommen werden oder man sich über sie lustig macht. Nach zwei Platzwechseln mit dem kompletten Fuhrpark schob er die Bedenken beiseite und nun parkten wir die Autos gemeinsam hin und her und die Zeit bis zum Abendbrot verging wie im Flug.
Ich half den Tisch decken, und als wir endlich alle saßen, tönte Gustafs Stimme laut und deutlich über die Tafel: „Die Susanne und ich, wir verstehen uns richtig gut!“ ließ er die ganze Verwandtschaft wissen.
Gustafs Tante zu sein ist nicht nötig, birgt aber Vorteile
Das war so schön und hat mein Herz tief und nachhaltig berührt – wie es bei ansonsten durchaus auch bei flüchtigen Begegnungen der Fall sein kann. Dafür muss man nicht unbedingt gemeinsam an einer Trauerfeier teilnehmen und verwandt muss man auch nicht sein. Das ist auch gut so, denn sein Großvater, der auch mein Onkel ist, stirbt nur einmal Seitdem haben Gustaf und ich uns auch nur noch einmal flüchtig gesehen. Der Vorteil, wenn man verwandt ist: Jedes Mal, wenn seine Mutter, meine Cousine, beispielsweise seine Geburtstagstorte in ihrem WhatsApp-Status postet, denke ich wieder dran. Ich vergesse die Begegnung einfach nicht so schnell wie sonst.
Und dann kann ich ihm sogar noch gratulieren und er freut sich wieder darüber!
Herzlichen Glückwunsch, Gustaf, zu Deinem 11. Geburtstag! Das war ein schönes Telefonat!
© Susanne Böhling
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