Einen Besuch von “in Orbit” von Tomás Saraceno in der K21 war lange geplant. Nun kenne ich das Kunstwerk und seine spektakuläre Wirkung auf mich – und andere Menschen mit Höhenangst?
von Susanne Boehling
Langsam zum Ständehaus
Die Kunstsammlung von außen
Es war mal wieder so: Da gehe ich in ein Museum und schon das Gebäude gefällt mir, die Umgebung. So wie die K21, das ehemalige Parlamentsgebäude der Rheinprovinz, in dem bis 1988 auch der Landtag Nordrhein-Westfalens tagte. Ich mag diesen historistischen Stil, in dem das Gebäude errichtet ist. Aber es gibt Steigerungen, die die vorigen Eindrücke wieder verblassen lassen.
Durch den Park auf das Ständehaus, die K21 Foto: © Susanne Boehling
Angenehme Geräusche
Der neobarocke Brunnen „Vater Rhein und seine Töchter“, ist mir zu überladen, lediglich an den Fischen bleibt mein Blick hängen, denn das Wasser, das ihrem Maul entströmt, plätschert angenehm in die darunter liegende Muschelschale.
Angenehm plätschert das Wasser, das die Fische des Brunnens speien. Foto: © Susanne Boehling
Macht über die Waffen
Doch dann liegt da eine Pistole auf dem Boden. Einerseits überdimensional, andererseits völlig harmlos. Es spielt keine Rolle, ob es die Abbildung einer echten oder einer Spielzeugpistole ist. Ich kann meinen Fuß darauf stellen und das ist so angenehm. „In den Dreck mit den Waffen!“ denke ich mir und freue mich, dass mein Kopf durch dieses Kunstwerk zu solchen Gedanken angeregt wird.
In den Staub mit den Waffen – Kunstwerk vor der K21. Foto: © Susanne Boehling
Das Netz von unten
Innen der helle hohe Raum ebenfalls sehr angenehm und die Architektur ist Kunstwerk genug, ich vermisse keine Bilder an den Wänden. Von oben aus der Kuppel klingen helle Stimmen und ziehen meinen Blick nach oben. Da ist es, das Netz – in orbit, das Tomás Saraceno in der Kuppel gespannt hat. Ich wusste, dass es hoch ist. Aber so? Die Menschen, die das Netz im Augenblick begehen, erscheinen wie Fliegen an den Glasscheiben.
in Orbit – das Erlebnis
Es mutet schon ein bisschen seltsam an, wenn man sich für die Betrachtung eines Kunstwerkes einen Overall anziehen muss und das Museumspersonal die Schuhe überprüft – ob sie auch ausreichend Profil haben. Andernfalls bieten sie einem leihweise Trekkingschuhe an. Die braucht man wirklich! Die Netze haben bisweilen starke Neigung, die man nur bewältigt, wenn sich die Seile in das Profil der Sohlen haken können.
Das Kunstwerk von Tomás Saraceno ist noch bis Ende Juni zu sehen. Foto: © Susanne Boehling
Die schlimmste Schaukel
Schlimmer als die Höhe erscheinen mir die Schwingungen in die andere Museumsbesucher das Netz versetzen. Ihnen fehlt der Rhythmus der Brandung – der mir die Wellen im Meer so angenehm macht. Jeden Augenblick muss ich mich um Balance bemühen und das stresst mich ganz schön.
Ein bedeutender Schritt für mich
Teile der Netze hängen über der Empore des Gebäudes. Zu deren Fußboden sind es dann nur geschätzte ein bis fünf Meter. Doch dann hebe ich mein Bein scheinbar über das Geländer der Empore – und nun sind es mehr als 20 Meter bis unten. Auch wenn ich weiß, dass mich das Netz halten wird, ist es ein bedeutender Schritt für mich – und ich tue ihn!!!
Die Hängematte zwischen Himmel und Erde
Dann erreiche ich den Platz, an dem sich einige Kissen sammeln. Gesehen habe ich sie sofort. Aber der Weg dorthin war weit! Sehr weit. Ich lasse mich fallen. Schnell stellt sich ein wunderbarer Entspannungseffekt ein. Ich sehe den Himmel über der Kuppel, ich sehe die riesigen Luftballons, die Saraceno in die Skulptur integriert hat. Ihre silbrige Außenhaut spiegelt mich, die anderen Besucher und der Anblick bezaubert mich: Wie wir so zwischen Himmel und Erde schweben, das ist wunderschön!
Tomás Saraceno – in orbit, Installationsansicht K21 Ständehaus, Photography by Studio Tomás Saraceno © 2013
Mit der Zeit gewöhne ich mich
Weil nicht mehr viel los ist, können wir länger als die 10 Minuten verweilen, die den Besuchern bei Hochbetrieb zugebilligt werden. Dennoch zieht es uns nach 20 Minuten weiter. Schade eigentlich, ich glaube, nach einer Stunde hätte ich mich an die seltsamen Schwingungen gewöhnt. Unvorstellbar hingegen, dass die maximal erlaubte Anzahl von 10 Besuchern das Netz in Bewegung setzen. Ich glaube, ich hätte gestreikt.
Spinnen
Ein Künstlerraum ohne Angst vor Spinnen
Ein Stockwerk tiefer zeigt ein dunkler Raum die Kunst der Spinnen. Effektvoll beleuchtete Netzarchitektur, die einen staunen lassen für die Wunder der Natur. Spinnennetze beschäftigen Tomás Saraceno seit Jahren, sie sind ihm Vorbild an Stabilität und Feinheit. Eine Herausforderung für Menschen mit Spinnenangst: In einem der beiden in den Raum hin offenen Drahtquader leben nach wie vor Spinnen und arbeiten unverdrossen weiter an ihrem Werk.
Nur die Kanten der Quader mit den Spinnennetzen sind durch Draht begrenzt. Foto und ©: Studio Saraceno
Im Kokon der Chirharu Shiota
Noch ein Stockwerk tiefer zieht mich wieder ein Gespinnst in seinen Bann. „A long day“ heißt ihr Kunstwerk aus dem Jahr 2015. Wollfäden durchziehen einen abgedunkelten Raum wie ein Spinnennetz. Zunächst fällt mir nicht auf, dass tief darunter ein Tisch und ein Stuhl stehen und viele Bögen weißen Papiers auf den Ebenen des Netzes lagern. Vielmehr fühle ich mich geborgen wie in einem Kokon.
A Long Day von Chiharu Shiota. Foto: Sunhi Mang © Künstlerin, mit freundlicher Genehmigung der K21
Resümee
Vielleicht hätte ich doch eine umgekehrte Reihenfolge wählen sollen: Erst den Kokon aus Wolle, dann die feinen Netze der lebenden Spinnen und dann den Schritt in den Raum „in Orbit“. Jedenfalls bin ich so beeindruckt, dass ich auf weitere Kunsterlebnisse verzichte. Nicht einmal der Pistole vor dem Eingang kann ich noch Beachtung schenken. Aber vergessen werde ich sie dennoch nicht.
Blick vom Ständehaus Richtung Graf-Adolf-Platz. Foto: © Susanne Boehling
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