Open-Air gruseln mit Dr. Caligari

Das Kabinett des Dr. Caligari war der krönende Abschluss des SWK Sommerkinos auf der Krefelder Rennbahn. Der Stummfilm von 1920 konfrontiert die Zuschauer mit einer eigenwilligen – expressionistischen Ästhetik. Die Musik von Stéphane Fromageot unterstrich Ausdruck und Inhalt des filmischen Geschehens.

Von Susanne Böhling

Es war wieder ein besonderer Abend, die Kinosinfonie beim SWK Sommer Openair auf der Krefelder Rennbahn. Und wieder durfte man iihnnicht versäumen, allein aus Gründen der Bildung. Genau wie im letzten Jahr, “Das Phantom der Oper“, der Stummfilm aus dem Jahr 1925, mit Lon Chaney als Phantom. Und dann auf großer Leinwand, begleitet von großem Orchester, das lässt man sich besser nicht entgehen.

Dr. Caligari setzt radikale ästhetische Konzepte um

“Das Cabinet des Dr. Caligari“ stand in diesem Jahr auf dem Programm. Ein deutscher Film aus dem Jahr 1920, den man unbedingt gesehen haben muss. Schon im Vorspann wird deutlich, woran das liegt. Die Bildsprache ist radikal anders als alles zuvor und das meiste danach, und auch wenn der Film viele andere inspiriert haben soll, habe ich soetwas noch nie gesehen.

Dr. Caligari mit Live-Musik von den Niederrheinischen Sinfonikern

Links die Leinwand, reechts diee Niederrheinischen Sinfoniker unter der Leitung von Andreas Fellner

Verzicht auf Illusion

Keinen Augenblick lang versucht der Film, die Illusion einer Wirklichkeit vorzugaukeln. Kein Baum, kein Strauch, kein Weg, kein Steg, keine Tür, kein Bett, kein Büro, keine Jahrmarktbude, in der Dr. Caligari auftritt, und nicht einmal der Sarg, in dem der geheimnisvolle Cesare ruht, gleichen denen, die man aus der Realität kennt. Sie sehen eher aus wie ein ziemlich abgedrehtes Bühnenbild.

Die Mittel des Film wirken ziemlich grob

Heutzutage, wo wir Filme kennen, in denen scheinbar Hektoliter Blut fließen, wo man mit unzählige Tricks, Annimationen und Techniken wie schnellen Schnitte und verblüffenden Kameraeinstellungen arbeiten kann um Horror und Schrecken zu verbreiten, wirkt Dr. Caligari teilweise komisch. Die groben Striche unter den Augen in der Maske, die verkrampften Finger der Mörderhand, die sich das Opfer greifen will, die gefühlte 100 Stunden dauernde Kameraeinstellung auf ein entsetztes Gesicht, das sich durch besonders weit aufgerissene Augen von den übrigen unterscheidet.

Titelschrift Dr. Caligari

Auch die Schrift für die Untertitel ist expressionistisch

Wovon lassen sich Menschen beeindrucken?

War das Publikum so kurz nach dem 1. Weltkrieg so viel empathischer als wir heute? Wir schauen distanziert bis amüsiert zu, während auf der Leinwand eine Geschichte um Wahn und Wirklichkeit entspinnt, in der sich Macht bis zum  Mord verdichtet. Da nutzt es auch nichts, dass sich links neben der Leinwand im Osten ein Unwetter entlädt, in dem die Blitze zucken und vor der Leinwand Fledermäuse flattern. Sind wir weniger manipulierbar, oder sind es nur andere Mittel und Mechanismen, die heute wirken?

Ich gehe beeindruckt nach Hause. Ein tolles Erlebnis, eine Bildungslücke geschlossen und Neid: Mensch, was die sich damals getraut haben!

Gewaltversprechen

An Blut hat Quentin Tarantino noch nie gespart. Doch The Hateful Eight verzichtet auf persönliche Betroffenheit als Rechtfertigung für Rache und Gewalt. Die Figuren handeln „aus Prinzip“ und sadistisch.

the_hateful_eight_4Auch mit schwarzem Humor ist The Hateful Eight nicht witzig

In Pulp Fiction sprechen die Protagonisten darüber, dass sie jemanden – immerhin versehentlich – „die Schädeldecke weggepustet“ haben. In The Hateful Eight erschießen sie ihren Feind – und ihm anschließend zusätzlich in den Kopf. In Pulp Fiction ist das anschließende Gespräch und die Folgen für die Handlung zwar makaber, aber auch witzig – sobald man über schwarzen Humor verfügt. In The Hateful Eight fehlt das Gespräch, der zerstörte Schädel rückt in den Bildmittelpunkt, Blut und Knochensplitter bleiben, wo sie hin spritzen, auch im Gesicht der Protagonisten und damit immer im Bild. Witzig ist das alles überhaupt nicht, Blut ist so allgegenwärtig, dass ich noch lange nach dem Verlassen des Kinos den Geschmack von Blut im Mund habe und ich finde beim besten Willen keinen Grund, warum mir das gefallen könnte.

Positiv: Filmmusik, Ausstattung und Kammerspiel

Gefallen hat mir die Filmmusik von Ennio Morricone und die Bilder von der unschuldig verschneiten Landschaft. Oder die Ausstattung, die bis ins Detail einer Krawattennadel sorgfältig gestalteten Kostüme mit üppigen Pelzen, die die besonderen Charaktere geschickt optisch unterstreichen und die bewährte Kameraführung. Gefesselt hat mich vor allem die eindringliche, wie fein differenzierte Darstellung der Schauspieler – The Hateful Eight ist in der Tat ein Kammerspiel.

Quentin Tarantino

Geldgier als Motiv für Demütigung und Tod

Aber worum geht es eigentlich? Das Motiv der Rache, das bei Tarantino sicher immer unterstellt werden kann, zerfasert meines Erachtens nach. Die Personen haben eine unglaublich niedrige Reizschwelle, persönliche Betroffenheit ist nicht nötig, um eine Lawine der Gewalt loszutreten. Allen eigen ist die Lust an der Demütigung, dem Quälen, dem Töten der jeweils anderen. Übrig bleibt, wer es schafft, die anderen so zu provozieren, dass er das formale Recht verspürt, sie zu quälen und zu töten. Schrecklich und traurig zugleich, wie einfach das ist, in diesem Film. Wenn es auf der persönlichen Ebene nicht funktioniert, dann müssen nur die auf die anderen ausgesetzten Kopfgelder ins Gedächtnis gerufen werden und schon geht sich das Karussell der Gewalt weiter.

Tödliche Rache – bedeckt von Schnee

Kill BillKill Bill 1 von Quentin Tarantino ist eine Mischung aus Material Art und Splatter-Film, in dem eine Frau die Kerle reihenweise über die Klinge springen lässt. 

Es wird hell. Ich sehe aus dem Fenster und den Schnee sanft zur Erde sinken. Genauso, wie gestern Abend, in der Schlussszene von „Kill Bill 1“, in der Kiddo und O-Ren Ishii zum letzten Kampf gegeneinander antreten. Der Kontrast könnte nicht größer sein, zwischen dem zauberhaften Garten, dem Schnee, der über alles das Tuch der Unschuld legt, dem erbitterten Kampf der Frauen, der männlichen Regeln sowie einer strengen und schönen Choreographie folgt und der Grausamkeit und Konsequenz mit der die Hauptperson Kiddo ihre Rache vollzieht. Als hochschwangere Braut wurde sie zusammen mit ihrer Hochzeitsgesellschaft von einem Killerkommando umgenietet, dem sie selbst früher angehörte. Sie hatte ein Verhältnis mit dem Chef, Bill, er war der Vater des Kindes. O-Ren gehörte zu den Mörderinnen, so wie Copperhead und alle anderen, die auf ihrer Todesliste stehen.

Grotesk, wie sie vor dem letzten Kampf gegen O-Ren deren  Krieger reihenweise über die Klinge springen lässt. Allein gegen Dutzende. Da balanciert sie kämpfend auf einem Treppengeländer, trennt Gliedmaßen oder Köpfe mit einem Streich sauber vom Leib, so dass das Blut wie aus einem Quell spritz. Szenen, die die unrealistisch große Überlegenheit des Helden verdeutlichen sollen, und denen immer ein Hauch von Lächerlichkeit anhaftet, auch wenn Kiddo sich zuerst ein Schwert von einem sagenhaften Schmied, Hattori Hanzo, besorgt hat, dessen Schärfe solche glatten Schnitte rechtfertigen soll.

Kill Bill2

Okay. Das ist vielleicht der Unterschied. Es ist eine Heldin. Eine, die sich immer zu wehren weiß. Die noch als vermeintliche Tote dem Sherif aufs Auge spuckt. „Witzig, aber ziemlich unrealistisch“, denke ich mir. Die dem Mann, der sie missbrauchen will, die Zungenspitze abbeißt, so dass er verblutet. „Weniger witzig, aber auch in der Realität wirkungsvoll, insofern bedenkenswert, zumindest, wenn es um die Bekämpfung der eigenen Angst geht. Man darf sich halt nicht ekeln.“ Deutlich sieht man, wie Kiddo in ihrem Nachthemd förmlich überschwemmt wird davon und sich sofort anschließend das Gesicht säubert.

Vielleicht nehme ich das mit, als Botschaft des Filmes an alle Frauen: „Du bist nicht wehrlos. Die Opferrolle passt nicht, leg‘ sie ab!“ Vielleicht werde ich in Zukunft immer ein Messer bei mir tragen. So wie Kiddo, die ihr Schwert auch bei ihrem Flug nach Tokio mit im Passagierraum hat. Mir genügt das Schweizer-Damen-Messer. Bei einer Klingenlänge von 3,5 Zentimeter immer noch verboten im Handgepäck bei einem Flug, aber lächerlich, wenn ich damit jemandem schaden wollte.

Ich halte ohnehin nichts von Rache. Aber es wird mich erinnern, dass ich kein Opfer bin!

Zum Thema Splatter-Filme empfehle ich Wikipedia www.wikipedia.org/wiki/Splatterfilm

Schockierend dosierte Gewalt

django rot plus

Über Pulp Fiction kann ich herzlich lachen. Die Erzählstruktur ist raffiniert und der Anfangsdialog zwischen Vincent Vega und Jules Winfield, auf dem Weg zu einem Auftragsmord, mit John Travoltas Doppelkinn in Nahaufnahme, gehört mit zu dem komischsten, was mir Film zu bieten hat: „Ist es das Gleiche, ob man einer Frau die Füße massiert oder seine Zunge in ihr Allerheiligstes versenkt?“ Gewalt erscheint mir dort so unwirklich, so lächerlich, der Baller-Fantasie kleiner Jungen entsprungen. Und dieses ständige Gefasel von „Du bist mein Nigger“ als Ausdruck von knechtender Abhängigkeit einfach absurd.

Pulp Fiction war der Grund, mir den neuen Tarantino, „Django Unchained“ anzusehen. Seine anderen Filme kenne ich nicht. Und ich war schockiert! Da nutzten auch die Wortspielereien, der geistreiche Sprachwitz des Dr. King Schultz (gespielt von Christoph Waltz) nichts, die dem Film über mindestens zwei der drei Stunden die Schärfe nehmen. Da nutzt auch das scheinbare Happy End nichts.

Dieser Schock bei den Zuschauern scheint mir die Absicht des Regisseurs und er beherrscht sein Handwerk perfekt. Wenn diesmal das Blut spritzt, dann macht das das Elend der Sklaven so deutlich, dass es jedem unter die Haut geht. Höhepunkt des Grauens ist die Szene, in der der Plantagen- und Sklavenbesitzer Calvin Candie (herrlich fies: Leonardo di Caprio) einen entflohenen Schwarzen von Hunden zerfleischen lässt.

Rache-Gelüste erschienen mir logisch in einer Welt ohne Perspektive, ohne jeden Funken Hoffnung auf Besserung. Sympathisch, dass ausgerechnet ein Deutscher in dem Film als einziger Antirassist und Humanist gezeigt wird. Er bildet Django im umfassenden Sinn, so dass der Schwarze die Hautfarben-unabhängigen Abhängigkeiten erkennt, als er zum speichelleckenden Anwalt des Calvin Candie sagt:„Dann bist Du also sein Nigger.“ Ist vielleicht Abhängigkeit ein durchgängiges Motiv für Tarantino?

Als poetischen Hintergrund für Djangos Suche nach seiner Frau Broomhilda nutzt Tarantino die Sage von Siegfried und Brünhilde. Er zeigt mit Jamie Foxx, mit schwarzen krausen Haaren und dunkler Haut als perfekte Verkörperung des Germanischen Helden, mit seinem schönen Körper und geschmeidig lässigen Bewegungen im Zeitlupentempo.

Noch auf dem Rückweg vom Kino beschloß ich, mir die anderen Tarantino-Filme auch noch anzusehen und fragte ich in der Videothek nach ihrer Verfügbarkeit. „Wir haben hier vier Stück in einer Kassette, nur zehn Euro pro Kalendertag“, sagte die Bedienung. Ich glaube, ich nehme höchstens einen pro Woche, wenn die genauso wenig komisch sind wie „Django Unchained“. Und ich fange auch nicht sofort an mit dem Projekt.

Blut wie Rache – und Schnee

Dramatisch aufwühlend wirkten Film und Oper am Wochenende, erholsam eintönig die Landschaft des Niederrheins beim Spaziergang

Verberger Kull

Es ist Montagmorgen, ich recke mich, strecke mich. Ein hochdramatisches Wochenende liegt hinter mir, eines mit viel Blut am Freitag im Kino in „Django Unchained“, dem neuesten Film von Quentin Tarrantino und mit viel Blut am Sonntagabend im Theater, in der Premiere des Puccini-Doppelopernabends „Le Villi/Suor Angelica“. www.theater-kr-mg.de In beiden Werken steht das Blut für die Rache und beide zeigen mir auf: Sie ist die einzige Triebfeder die bleibt, wenn Glaube und Hoffnung an den Sieg der Liebe zerstört sind. Ich halte sie jetzt für legitim, auch wenn mir selbst davor graust.

djano rotDazwischen ein Treffen mit Wolf  Tekook für sein neues Fotoprojekt. Der Krefelder Digitalkünstler arbeitet unter dem vorläufigen Titel „Rolle(n)verhalten“ zum Rollenverständnis von Frauen.

Copyright beim Fotografen, Matthias Stutte.

Copyright beim Fotografen, Matthias Stutte.

Den richtigen Ausgleich zu dem vielen Rot brachte schließlich  am Sonntag ein Schneespaziergang  durch den Stadtwald, bis zum Egelsberg und zurück, was mehr als vier Stunden dauerte. Dank an Uwe Winkler, der mir mit den Verberger Kuhlen neue, mir eine bislang unbekannte und wunderschöne Seite Krefelds zeigte.

Skyfall – der Himmel stürzt ab, aber das Empire steht

James Bond in einer Kulisse, die an Metropolis erinnert

Skyfall – der Himmel fällt, aber das Empire steht

Natürlich gibt es vorhersehbar spektakuläre Explosionen und Verfolgungsjagden im neuen James Bond. Aber er offenbart überraschende Details und die wirkliche Stärke der 50 Jahre alten Action-Reihe.

Wie er sich ohne Anflug von Angst über den Aufzugschacht Zugang zu einer der oberen Etagen in einem himmelhohen Gebäude verschafft! Sagenhaft, diese Nerven, wird es dem Zuschauer doch allein vom Blick in die Tiefe schlecht! Wie die U-Bahn durch die Decke in eine noch tiefer liegende Etage des Londoner Untergrunds bricht, entgleist und der Agent sich dennoch mit einem Sprung an die Seite rettet. Das ist Action und Spannung, wie man sie von einem Bond-Film erwarten kann.

Dabei wird allerdings ein Unterschied zu früheren Filmen offenbar: „Skyfall“ setzt auf eine andere Ästhetik, der Stil der Gebäude erinnert an die 20er Jahre. Auch die Architektur der verlassenen Insel lässt eher an „Metropolis“ denken als an die Glas- und Stahlpaläste früherer Filme.

Auch James Bond offenbart sich neu. Schmutzig, das war er schon bei der ersten Folge mit Daniel Craig in der Hauptrolle. Diesmal ist er ein Wrack. Konflikte werden sichtbar und sogar seine Kindheit holt Bond ein. Mit Bildern der herben Schönheit des schottischen Hochlandes. Durch die Süße südlicher Meere säuft sich der Agent nur ganz am Anfang. Mit zitternder Hand, wo er früher stets nüchtern war, egal wie Martinis er intus hatte.

Er zeigt ein zerfurchtes Gesicht, das früher bei ihm stets faltenfrei war, wie sein Anzug und sein Hemd. Diesmal ist er einer, der nicht mehr für den Dienst tauglich ist, der vom Zeitalter der Computer überholt und ad absurdum geführt zu sein scheint. Und würde nicht auf so eine Sequenz die nächste Action-Szene folgen, käme der Zuschauer glatt auf den Gedanken, der Film könne eine Parallele ziehen zu dem Land, dem Bond dient.

Natürlich ist er trotzdem derjenige, der allen den „Arsch“ rettet. Sogar dieses Wort kommt – welch ein Wunder – vor in dem Film, der die Engländer sonst immer als vollendete Gentlemen zeigt. Doch das, das bleiben sie weiterhin und genau das unterscheidet den Film von anderen Action-Streifen. Dass die Helden kaum Gefühle zeigen. Dass sie die Technik der „stiff upper lip“, der steifen Oberlippe so vollendet beherrschen, die sich selten zu einem Lächeln und nie zum Ausdruck von Wut oder Trauer verzieht. Und wenn sie sich denn irgendwie dazu äußern, dann so voller Ironie und Witz, dass sich die Spannung im Zuschauer in einem Lachen lösen kann! Mit dieser Tugend ist dieser britische Film nach wie vor etwas besonderes im Regal mit den Action-Schinken.