Bei aller Tragik und allem Verständnis hat es mich zunächst fast amüsiert: Dass Beverly Blankenship, die Regisseurin des Doppelopernabends im Theater in Rheydt, die gleiche Symbolsprache benutzte wie Quentin Tarantino in „Django Unchained“. Den Film hatte ich mir am Freitagabend angesehen.
Fotos: Stutte
So saß ich also Sonntagabend in der Premiere von Giacomo Puccinis „Le Villi / Suor Angelica“ und sah zu, wie sich Janet Bartolova als „Anna“ über und über mit Blut beschmierte. Es symbolisierte wie bei Tarantino die Rache. Sie war anfangs eine Frau, die ihren Geliebten frohen Mutes gehen ließ, im festen Glauben, dass er – ganz wie er es ständig versicherte – zu ihr zurück kehren würde. Später gelang es ihr immer weniger, ihn zu erreichen, zu berühren und schließlich musste sie einsehen, dass er sie verlassen hatte. Nun war sie jeder Perspektive beraubt und entwickelte Rachegelüste. Die gipfelten in der Vorstellung, sie würde ihn als „Willie“ zu einem tödlichen Tanz auffordern – und die sonst grau gehaltene Szenerie färbte sich eindrucksvoll rot.
Mir gefiel das Konzept, die Sage aus dem Schwarzwald näher an uns heran zu holen. Ich genoss die psychologisch einfühlsame Komposition, die tollen Solisten, den Chor, das Orchester (die Niederrheinischen Sinfoniker unter Mihkel Kütson) und applaudierte anschließend anerkennend.
Dieser Einakter Puccinis wurde bei dieser Inszenierung erstmalig gepaart und verwoben mit „Suor Angelica“, einem weiteren Puccini-Einakter. Der erzählt die Geschichte der jungen Adeligen, die von nach der Geburt ihres unehelichen Kindes in ein Kloster verbannt wurde. Blankenship hatte schon „Annas“ Geschichte in dieses Heim verlegt, als vorübergehende Unterkunft für die Schwangere, während sie auf die Rückkunft ihres Verlobten wartete. Ein Magdalenenheim in dem irische Familien bis in dieses Jahrhundert hinein ihre Kinder ohne Nennung von Gründen abgeben konnten, wo sie Willkür und Missbrauch ausgesetzt waren.
Angelicas Sehnsucht nach ihrem Kind wird schon bei Annas Fehlgeburt deutlich. Sie nimmt das Kind, betrachtet es eindringlich, trägt es weg. Als nun die Zöglinge im Heim von ihren Wünschen sprechen, denkt die eine an Süßigkeiten, die andere, eine Hirtin, träumt davon, noch einmal ein Lämmchen streicheln zu wollen. Angelica schweigt. Wobei jeder spürt, welche Sehnsucht sie hegt, dass sie den Mut nicht findet, darüber zu reden, ja nicht einmal in der Lage ist, sich selbst diese Sehnsucht einzugestehen.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt ist man mitgenommen, man leidet mit Angelica, die von Dara Hobbs verkörpert wurde. Wie sie in Wut geriet, als die Tante, die sie nur besuchte um eine Unterschrift in einer Erbangelegenheit zu bekommen, ihr nebenbei mitteilte, dass das Kind schon seit zwei Jahren tot sei. Wenn Hobbs dann in Rage die Tische umwirft und die Tante mit deren Stock bedroht, dann ist das so verdammt echt und die Töne der dramatischen Sopranistin entspringen direkt ihrer Seele und nicht nur ihrer Kehle.
Es fiel schwer, nach den Schlussakkorden in die Realität zurückzufinden, die künstlerische Leistung mit dem begeisterten Applaus zu würdigen, den sie verdient hatte. Es kostete Kraft, sich klar zu machen, dass unsere Situation weder der Annas noch Angelicas gleichen muss. Weil wir in einer Gegenwart leben, in der ein treuloser Bräutigam nicht den Verlust der Zukunft bedeutet, wir verhüten können und uneheliche Kinder fast schon normal sind.
Als Kulturoptimistin keimte in mir die Frage: „Haben solche Dramen wie Suor Angelica dazu beigetragen, unmenschliche Normen aufzuweichen und unsere Zeiten humaner werden zu lassen?“
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